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Am Telefon: Der Dealer und sein Bunny

Bruder hatte Geburtstag. Nennen wir ihn mal Bucky. Jetzt ist der Abend danach. Mal schauen, wie es ihm geht. Telefonliste rauskramen, Handynummer abtippen, wählen lassen. Rrrrrrrrrrrrringgggg.

„Ey, ja, hallo?“
Männerstimme, kaum zu verstehen, könnte Bucky sein. Im Hintergrund mehrere Frauenstimmen. Versautes Lachen. Oh wei, geht da immer noch was ab?
„Ja, hallo, Tor hier?“
„Ey, hallo, ja, was willst du?“
Hmm, ist das wirklich die Stimme meines Bruders?
„Bin ich da bei Bucky?“
„Bucky? Ich bin nicht Bucky. EYY, SEID DOCH MAL LEISE! Kennt jemand von euch einen Bucky?“
Stimmengewirr.
„Wie heisst denn Bucky mit Nachnamen?“
„Loewenherz, wie ich.“
Frauenstimme aus dem Hintergrund: „Ey ja, Bucky Loewenherz, kenn ich.“
„Ey, ja, kennt eine hier.“
„Wer bist du denn überhaupt?“
„Ich bin Antonio.“
Getuschel.
„Ach nee, die kennt den doch nicht. Sag mal, wie kommst du überhaupt an meine Handynummer?“
„Das ist die von meinem Bruder.“
„Nee, das ist meine. Hab ich neu gekriegt.“
„Vielleicht hab ich mich verwählt.“
„Aber sag mal: Brauchst du was?“
Ich fall vom Stuhl.
Er sagt es so, dass ich genau weiß, was er meint. Klar, neue Handynummer, nur sein Kundenstamm und seine Kumpels haben sie.
Eine der Frauenstimmen aus dem Hintergrund: „Ey, du spinnst, du kennst den doch überhaupt nicht.“
„Hey, ist doch egal, der Typ klingt cool am Telefon.“
„Nee danke, ich trink nur noch Wein.“
„Ja dann. Machs gut.“
Klickklick.

Was war denn das gewesen?

Telefon klingelt keine 10 Sekunden später.
„Tor hier?“
„Hi, hier ist nochmal Antonio. Sag mal, wie kamst du zu mir?“
Aha, ich wieder ohne Rufnummerunterdrückung unterwegs.
„Ich wollt die Nummer von meinem Bruder anrufen.“
„Aber das ist doch gar nicht seine Nummer.“
Ich les ihm die Nummer vor aus meinem Adressbuch.
„Ja, das ist genau meine Nummer.“
„Dann hat mein Bruder seine vielleicht gewechselt und du hast seine alte Nummer gekriegt.“
„Nee, meine ist neu.“
Ob das Sinn macht, ihm zu erklären, dass Handynummern nicht unbedingt jungfräulich sein müssen?
„Wo bist du überhaupt?“
Er nennt eine Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet. 40 Kilometer weg von mir.
„Ey, aber wart mal, eine Freundin will mit dir reden.“
Das Handy wechselt seinen Besitzer.
„Ja, hallo, mit wem sprech ich da?“
Frauenstimme, kehlig. Assoziation: Schon etwas drauf, durchaus attraktiv, gut in der Kiste mit versaut-verspielter Attitüde.
„Hier ist Tor.“
„Du lügst.“
„Neee.“
„Und dein Bruder heißt?“
„Bucky.“
„Du lügst schon wieder.“
Ah, auch noch ein Domina-Touch. Ich arbeite mal weiter in der Küche am Essen.
„Ich würde dich doch nicht anlügen, gibt gar keinen Grund dafür.“
Folgendes Hasengespräch, wer warum wieso nicht lügt. Warum sie kostenlos mit mir telefonieren kann. Ich pack mir mal den großen Selleriekopf. Sie mag Schafskäse. Dann ihre Frage:
„Wie alt bist du?“
„Warum? Hast mir ja noch nicht gesagt, wie alt du bist.“
„Wie alt schätzt du mich denn?“
Ich grüble. Hol das große Messer aus der Schublade. „23?“
„Ha! Ich wär froh, ich wär nochmal so jung.“
Ist sie jetzt gerade erst 24? Ne, ich korrigier dann mal auf Anfang/Mitte 30. Schäl mal den Sellerie.
„Hast du eine Freundin? Hast du Lust vorbei zu kommen?“
Oha. Der Sellerie fällt mir fast aus der Hand.
„Ja, ich hab eine Freundin und die kommt gleich zu mir.“
„Boah, bist du geil. Jeder andere hätte mich belogen. Aber du bist korrekt, du sagst die Wahrheit.“
Wahrheit und Lüge ist wohl ein Thema von ihr.
„Du bist Deutscher, oder?“
„Ja.“
Ich schätze bei ihr Migrationshintergrund. Mindestens dritte Generation hier, ordentliches Deutsch ohne größere Ausfälle. Schälen, Tor, Schälen.
„Hast du Skype? Dann können wir Videochat machen…“
Mir wird ganz heiß. Oioioi. Erst will er mir Drogen verkaufen, jetzt baggert sie mich an. Meine Fresse, manchmal ist Telefonieren ein kleines Abenteuer. Autostart versauter Film vor dem inneren Auge: Halbe Stunde im Auto, Bude von Antonio, zwei schlanke schwarzhaarige Frauen, zu allem bereit, Kiff und Koks, wilder Sex, Orgie, ahhhhhh.
„Öhh, och nee, bin gerade am Kochen, Freundin kommt ja gleich.“
Wortwechsel im Hintergrund. Antonio klingt nicht mehr ganz so cool. Geht ihm jetzt wohl doch alles zu weit.
„Oh, ich muss Schluss machen. Mach’s gut.“
Klackklack.

Ich halt mich an meiner Arbeitsplatte fest. Mir ist noch ganz schwummrig von dem Kopfkino. Bringe mich zur Besinnung, in dem ich zur Sicherheit die gewählte Rufnummer mit der aus meinem Telefonbuch vergleiche. Jo, 100% exakt. Und merke dann: Ich bin beim Wählen eine Zeile zu tief gerutscht. Bei der Vorwahl war ich noch bei Bucky, ab dann eine Zeile drunter, selbe Vorwahl. Aber nicht Bruder, sondern Ex-Freundin. Aha. Na dann, ist es jetzt halt das Ex-Handy der Ex. Und sollte ich wider Erwarten doch mal was brauchen, dann weiß ich ja jetzt, wo ich anrufen kann…

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