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Blinde Weide, schlafende Frau

„Deine Mutter liebt dich nicht.“

„Aber warum?“

„Warum? Alle Dinge auf der Welt haben ihre Gründe für das, was sie tun.“

„Alle? Auch der Wind?“

„Gerade der Wind. Er weiß alles, was in dir ist. Überlasse dich ihm!“

„Das erinnert mich an eine seltsame Begegnung. Es war im Treppenhaus eines Studentenwohnheims. Plötzlich stand ein kleines japanisches Mädchen vor mir und zeigte mir einen Spiegel.“

„Und was hast du darin gesehen?“

„Mich. Und doch nicht mich. Ich sah mich anders darin. Netter. Ja, es war ein netter Spiegel.“

„Und dann?“

„Dann versprach sie, mir beim Suchen zu helfen.“

„Tat sie es?“

„Ja. Ich spüre sie. Wenn ich meine Nudeln esse, surfe, im Feld sitze und den Vögeln lausche. Immer wieder ist sie da. Wenn ich dem Rauschen der Wellen lausche, dem Knarren der Bäume, mit den reisenden Wolken träume. Schwarze Vögel krähen, hüpfen, flattern ein Stück und vertiefen sich wieder in die Krume. Glänzen in der Sonne und sind doch Gevatters Nichten.“

„Und dann?“

„Fahre ich nach Hause. Starte meinen Computer und arbeite. Es ist ein Akt der Liebe, nichts sonst. Und ich liebe Haruki Murakami.“

„Ich auch. Und dann … spricht mein innerer Dialog zu mir wie ein Gedicht.“

Blinde-Weide
Blinde Weide, schlafende Frau
von Haruki Murakami

Dumont Literatur und Kunst Verlag
409 Seiten,
1. Auflage 2006
EUR 22,90

 

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