Oberursel: Die Freiligrathstraße ändert ihr Gesicht

Über hundert Jahre hatten sie auf dem Buckel, die Häuser im vorderen Teil der Freiligrathstraße meiner Wahlheimat Oberursel im Taunus. Doch nun fallen sie, eines nach dem anderen. Für mich ein Abschied, wohnte ich doch für entscheidende Jahre in einem dieser Häuser – im allerersten, das abgerissen wurde. Zwei weitere sind im Laufe der letzten Woche gefolgt.

Ich mochte diese Häuser, hatten sie doch einen Charakter, den späteren Bauten vermissen ließen. Gerade auch Häuser, die in den letzten Jahren in Oberursel entstanden sind, seien es der Bau, in dem Utimaco haust, oder gar der Lego-Neubau der Oberurseler Wohnbaugenossenschaft (OWG), die auch die Eigentümerin aller Bauten in jenem Abschnitt der Freiligrathstraße ist. Somit sind die Erwartungen zwiespältig.

Wird diesmal auch etwas für die Ästhetik getan? Bleibt das für Kinder und andere Mieter wundervolle Grün zwischen den Häusern erhalten oder muss es Parkplätzen weichen? Dass bei der Renovierung von Häusern der Freiherr-vom-Stein-Straße Balkone hinzugefügt und eine ansprechende Fassadengestaltung gewählt wurde, lässt hoffen. Dass dort allerdings sehr eng gebaut wurde oder bei der Renovierung meiner aktuellen Wohnung der wundervolle Holzdielenboden mit hässlichen Plastik beklebt wurde, lässt wiederum Raum für begründete Zweifel. Eine Nachbarin hat bereits ihren Auszug angekündigt, muss aber passenden Mietraum finden, denn eine Eigentumswohnung kann sich keiner von uns leisten.

Zur Erinnnerung das vielleicht letzte Foto meines liebsten Hauses in diesem Bereich der Freiligrathstraße:

Noch etwas am Rande: In „meinem“ alten Haus wohnte über mir eine schwerhörige alte Dame. Die OWG hatte ihr zugesagt, dass sie in ihrem Haus so lange wohnen bleiben könne, wie sie wolle. Sie war im Nachbarhaus geboren worden und hatte ihr ganzes Leben in der 28 verbracht. Wenn ich einmal eine Zeit lang nicht meine Arien geübt oder mit meinen Kindern getrommelt hatte, begrüßte sie mich sicher bald im Treppenhaus: „Herr Loewenherz, ich habe Sie solange schon nicht mehr singen hören. Bitte singen Sie doch ruhig, ich höre das gern.“ Wenn Sie wieder einmal gestürzt war, brachten wir anderen Mieter ihr etwas vom Markt mit. Oder ich jagte die Drücker aus dem Haus, die der alten Frau einmal wieder etwas andrehen wollten. Besonders ein Vorwerkverkäufer, der ihr für ihren teppichfreien Dielenboden einen Staubsauger angedreht hatte, hatte sich nachdrücklich unbeliebt gemacht.

Dann leerte sich das Haus Zug um Zug. Schließlich ging die alte Dame ins Heim, wo sie bald verstarb. Die OWG hat ihr Versprechen gehalten. Nun fallen die Häuser. Ich lebe in einer hübschen anderen Mietwohnung. Sie ist kleiner, die Miete höher, die Wände sind dünner, die Djembe steht auf dem Dachboden und niemand frägt mich, wann ich das nächste Mal “ E lucevan le stelle“ versuchen werde.